Zukunftsforum Energiewende: Grundlast war gestern

Für Macherinnen und Macher der Energiewende war die documenta-Halle in Kassel Ende November der wichtigste Treffpunkt. Das Zukunftsforum Energiewende brachte über 500 Praktiker aus ganz Deutschland zusammen. Ob Energieberater, Bürgermeister oder Projektingenieur, ob Anlagenhersteller, Energiegenossenschaftler oder Landwirt – alle trieb die Frage um, wie es mit dem dezentralen Ausbau der Erneuerbaren Energien weitergeht.

Mehr Verantwortung durch optimales Zusammenspiel aller Erneuerbaren

Bei einer Podiumsdiskussion der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) gingen Experten aus Beratung und Praxis der Frage nach, wie durch das Zusammenspiel von Wind, Sonne; Biomasse und Co. eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien gelingen kann. Wenn viele kleine Solar- und Windenergieanlagen vor Ort einen immer größeren Anteil der Stromversorgung decken, müssen schließlich alle Erneuerbaren Energien mehr Verantwortung für die Stabilität des Gesamtsystems übernehmen. Moderator Jörg Mühlenhoff verwies auf die bereits vor einem Jahrzehnt geleistete Pionierarbeit des erneuerbaren Kombikraftwerks. 2007 war von einem Forschungsverbund erstmals mit laufenden Anlagen in Echtzeit eine stets bedarfsgerechte, ausschließlich erneuerbare Stromversorgung demonstriert worden.

Wie sich Solar-, Wind- und Bioenergie sinnvoll ergänzen können, stand bei der AEE-Podiumsdiskussion im Mittelpunkt. Quelle: AEE

 

Mittlerweile wird das Zusammenschalten von wetterabhängigen und flexiblen Erneuerbare-Energien-Anlagen immer öfter in der Praxis erprobt. Das AEE-Projekt energie-update.de portraitiert solche Lösungen. Allerdings müssen diese sich oft unter ungünstigen Marktbedingungen behaupten.

Erneuerbare Stromeinspeisung erfordert mehr Qualität statt Quantität

Eine zentrale Rolle beim Abschied von der starren Grundlast kann die Bioenergie übernehmen. Die Podiumsdiskussion zeigte, dass in der Biogasbranche längst ein Paradigmenwechsel begonnen hat. Förderten die gesetzlichen Rahmenbedingungen Anfang der 2000er-Jahre ausschließlich Quantität, d.h. möglichst viel und kostengünstigen Biogas-Strom rund um die Uhr, bemühen sich mittlerweile viele Landwirte, mit ihren Biogas-Blockheizkraftwerken (BHKW) immer flexibler auf Nachfrage- und Preisschwankungen zu reagieren. Uwe Welteke-Fabricius, der mit dem Netzwerk „Flexperten“ die Biogasbranche berät, rechnete vor, dass sich ein starker Zubau von BHKW-Leistung schon heute für viele Anlagen lohnen kann. Während der Tageszeiten mit niedrigen Strombörsenpreisen könnten die BHKW-Module ganz abgeschaltet werden, um dann an immer weniger Stunden dafür umso mehr Strom zu höheren Kilowattstundenpreisen einzuspeisen. Uwe Welteke-Fabricius ist sich sicher: „Grundlast ist überholt. Flexible Biogasanlagen mit BHKW erreichen Versorgungssicherheit und Netzstabilität.“

Biogas muss Flexibilität beweisen

Dass der Weg zur hochflexiblen Biogasanlage einige Herausforderungen mit sich bringt, zeigte Landwirt Jürgen Pfänder aus dem fränkischen Ohrenbach auf. Pfänder betreibt insgesamt drei Biogas-Wärmenetze in den Dörfern rund um seinen Hof. Seine Wärmekunden sollen natürlich nicht frieren, wenn er die Stromerzeugung der BHKWs und damit auch die Wärmeproduktion drosselt. Ein mit seinem Stromhändler erarbeiteter Fahrplan berücksichtigt die Größe des Biogasspeichers und sorgt dafür, dass Strom und Wärme bedarfsgerecht fließen. „Biogas ist eine verhältnismäßig teure Erneuerbare Energie. Darum müssen wir die Potenziale verstärkt in den Vordergrund stellen: Politik und Landwirte müssen dafür sorgen, dass Flexibilisierung dargestellt und abgerufen werden kann“, ist Pfänder überzeugt. Als speicherbare Energie sollte Biogas im Mix der Erneuerbaren Energien seine Flexibilität beweisen.

Das Zusammenspiel der wetterabhängigen Solarenergie mit verschiedenen Bioenergieträgern klappt im hessischen Mengsberg sehr gut. Thomas Krause, Vertriebsleiter Commercial Systems bei Viessmann Deutschland, zeigte, wie mit einem jahreszeitlich flexiblen Betrieb von Biogas- und Holzhackschnitzelanlagen die Solarwärme aus einem fast 3.000 Quadratmeter großen Kollektorfeld ergänzt wird. Mit rund 150 Abnehmern ist mehr als die Hälfte der Haushalte im 900-Seelen-Dorf an das genossenschaftliche Wärmenetz angeschlossen – und freut sich über stabile Wärmekosten. Thomas Krause fasst zusammen: „Hohe Akzeptanz vor Ort ist eine wichtige Grundlage für den Erfolg von Flexibilisierungsprojekten.“

Die Impulsreferate der Podiumsdiskussion:

Spitzenlast lohnt sich schon heute: Wie sich Potenziale der Flexibilisierung von Biogas erschließen lassen
Uwe Welteke-Fabricius, Netzwerk Flexperten

Stabiles Netz und warme Nachbarn: Die flexibilisierte Biogasanlage Ohrenbach
Jürgen Pfänder, Landwirtschaft und Bioenergie Jürgen Pfänder GmbH und Co. KG

Sonne und Biomasse im Zusammenspiel: Genossenschaftliche Strom- und Wärmeversorgung in Mengsberg
Thomas Krause, Viessmann Deutschland, Vertriebsleitung Commercial Systems

Demnächst hier: Videodokumentation „Grundlast war gestern“

Die AEE hat mit einem Kamerateam den Landwirt Dierk Koch in Baunatal besucht, der seine Biogasanlage gerade für eine flexible Strom- und Wärmeversorgung umbaut.

Mit der Drohne über die Biogasanlage: Das Video finden Sie zusammen mit Stimmen vom Zukunftsforum Energiewende ab Anfang 2018 in unserer Mediathek.