„Speichertechnologien sind ein elementarer Baustein der zukünftigen Energieversorgung.“
Das Energiesystem der Zukunft wird durch den Ausbau Erneuerbarer Energien zunehmend von einer Vielzahl kleiner, dezentraler Erzeuger und Verbraucher geprägt werden. Ein hohes Maß an Flexibilität, mehr Speicher und funktionierende Energiemärkte sind entscheidend, um eine höhere Versorgungssicherheit zu erreichen. Die Bioenergie spielt hierbei eine entscheidende Rolle, wie ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Daniela Thrän, der Leiterin des Departments „Bioenergie“ am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), verdeutlicht.
Prof. Dr. Ing. Thrän, in diesem Jahr konnte Deutschland, rechnerisch gesehen, ganze 40 Tage allein mittels Bioenergie versorgt werden. 1,5 Tage mehr als noch im vergangenen Jahr (http://europeanbioenergyday.eu/your-country/). Was denken Sie, wie wird sich das Potenzial der Bioenergie bis 2050 entwickeln?
Das Potenzial der Bioenergie bis 2050 liegt weniger in der Menge als in der Qualität. Bioenergie wird immer dann zum Tragen kommen, wenn fluktuierende Energieträger wie Wind und Sonne nicht verfügbar sind. Zum einen, weil es gerade windstill und grau ist und trotzdem Strom nachgefragt wird, zum anderen aber auch in Anwendungsbereichen, in denen es wenig Alternativen gibt, wie zum Beispiel im Schiffs- und Flugverkehr oder bei der Bereitstellung von Hochtemperaturwärme für Industrieprozesse. Das heißt, wir können in 2050 vielleicht an 180 Tagen den anderen erneuerbaren Energien zu einer vollständigen erneuerbaren Versorgung mit Strom, Wärme und Kraftstoffen verhelfen. Dabei ist die Zahl an Tagen einer größeren Unsicherheit unterworfen als die Funktion, die Biomasse erfüllt.
Die Bioenergie ist wichtig für Verkehr, Wärme und Strom, doch ähnlich wie in der Windenergie gibt es auch im Bereich der Biogasanlagen die Frage, was kommt nach dem Auslaufen des EEG. Wo sehen Sie hier die größten Schwierigkeiten?
Aktuell gibt es zwei große Schwierigkeiten, wenn Bioenergieanlagen aus dem EEG ausscheiden: Erstens, der Strommarkt fragt kaum flexible Bioenergie nach und dadurch sind die Erlöse, die sich mit Strom aus Biogas erzielen lassen, eher gering. Zweitens gibt es zwar einen großen Bedarf an günstigen erneuerbaren Energien im Verkehrsbereich, allerdings wird Biogas, das im Verkehr zum Beispiel als Biomethan nutzbar ist, bisher nur eingeschränkt angereizt und daher ebenfalls kaum nachgefragt. Man hat also einen multitalentierten, flexiblen Energieträger, aber keinen Markt. Um das zu ändern, müsste das Energiesystem deutlich umweltfreundlicher werden: zum Beispiel mit höheren Anteilen an Wind- und PV-Strom und mit höheren CO2-Preisen im Verkehrssektor.
Welche Rolle spielen heute und zünftig Bioenergieanlagen für eine gesicherte und flexible Leistung bei der Strom- und Wärmeerzeugung in Deutschland?
Bioenergie stellt Residuallast bereit, kann also immer dann in Strom und Wärme umgewandelt werden, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Das wird bei zunehmender Versorgung mit erneuerbaren Energien immer wichtiger. Bioenergie schließt also die Lücken in der Stromversorgung und sorgt dafür, dass weniger fossile Reservekraftwerke bereitstehen müssen. Bei gekoppelter Strom- und Wärmebereitstellung (KWK), wie sie in Deutschland weit verbreitet ist, und insbesondere zusammen mit Wärmenetzen und Wärmespeichern ist dieser Lückenschluss in der Stromversorgung außerdem sehr effizient. Dadurch erreichen wir zusätzlich einen Beitrag zur erneuerbaren Wärmeversorgung und nutzen einen Großteil der in der Biomasse enthaltenen Energie.
Und weltweit?
Weltweit gilt das auch. Dabei ist die Rolle im Stromsystem umso wichtiger, wenn es einen hohen Anteil an fluktuierendem Strom und wenig andere Ausgleichsoptionen wie zum Beispiel Wasserkraft gibt. Das kann auf nationaler Ebene relevant sein, aber auch in regionalen Verbünden oder in lokalen Stromnetzen. Wärmenachfrage und Wärmenetze bestimmen die Effizienz. In Regionen, wo weniger flexibler und an Wärme gekoppelter Strom nachgefragt wird, ist vielleicht der Kraftstoffbereich oder die Bereitstellung von Hochtemperaturwärme für die Industrie wichtiger.

Insbesondere erneuerbare Gase sind perspektivisch notwendig für ein erfolgreiches Update. Viele Speichertechnologien sind technisch schon ausgereift und könnten für ein Update eingesetzt werden. Unter gegenwärtigen Marktbedingungen sind viele Speicher jedoch noch nicht wirtschaftlich, wodurch das Update verzögert wird. Wie ist hier der Stand der Forschung?
Speichertechnologien sind ein elementarer Baustein der zukünftigen Energieversorgung und wir sehen ja gerade bei den Batteriespeichern enorme Lernkurven, so wie das vor Jahren bei der Photovoltaik zu beobachten war. Doch auch wenn Batteriespeicher zunehmend günstiger werden und für kurzfristige Schwankungen eine passende Flexibilitätsoption darstellen, bleiben wohl auch zukünftig noch Lücken die über 12 oder 24 Stunden hinaus reichen, in denen dann die Bioenergie ihre Vorteile als ‚chemischer Energiespeicher‘ voll ausspielen kann. Zukünftig wird es also hier eher Synergien zwischen einer breiten Palette an Speicheroptionen sowie Bioenergieanlagen und weniger ein ‚Entweder-oder‘ geben.
Dem Weltklimarat zufolge bietet Bioenergie mit Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (BECCS) viel Potenzial, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen. Können Sie kurz erläutern, was es damit auf sich hat?
Um die Rolle von BECCS zu verstehen, muss man sich kurz den globalen Kohlenstoffkreislauf vor Augen führen: Biomasse enthält erneuerbaren Kohlenstoff, der während der Fotosynthese aus der Luft gebunden wird. Dieser Kohlenstoff wird während der Bioenergieträgerbereitstellung zum Beispiel in Biogas, Holzhackschnitzel oder Biokraftstoffe überführt. Wenn diese Energieträger verbrannt werden, entsteht Kohlendioxid, das das Klima nicht zusätzlich belastet. Wenn man dieses Kohlendioxid am Ende nicht in die Atmosphäre entlässt, sondern abscheidet, sammelt und einlagert, entzieht man dem globalen Kohlenstoffkreislauf Kohlendioxid und kann damit dem Klimaeffekt entgegenwirken. Der Weltklimarat entwirft unterschiedliche Szenarien, in denen – in Abhängigkeit der Erfolge im Klimaschutz – BECCS einen kleineren oder größeren Stellenwert zur Erreichung des 2-Grad Zieles hat. Dabei stellt auch der Weltklimarat fest: Für einen größeren Beitrag von BECCS sind auch größere Biomassemengen notwendig – und damit auch größere Risiken für die Landnutzung und Ernährungssicherung zu erwarten.
Welche Rolle könnte BECCS zukünftig im Kampf gegen den Klimawandel spielen?
Jede Art von Kohlendioxidabscheidung kann nur eine ergänzende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen und die letzten Meter in eine klimaneutrale Wirtschaft ermöglichen. Die Vermeidung von Klimagasemissionen bleibt daher die zentrale Maßnahme. Energieeinsparung und der Umstieg auf erneuerbaren Energien müssen so schnell wie möglich erfolgen; in Deutschland, in Europa, weltweit. Um aber auch die sogenannten unvermeidbaren Emissionen zum Beispiel aus bestimmten Industrieprozessen oder aus der Landwirtschaft im Jahr 2050 auszugleichen, ist die parallele Erforschung von Technologien und Konzepten zur Kohlendioxidabscheidung notwendig. BECCS kann eine Rolle spielen, wenn die Biomasse nachhaltig bereitgestellt wird, die Bioenergiebereitstellung und Kohlendioxidabscheidung effektiv erfolgt und die Lagerung des Kohlendioxids sowohl technisch als auch gesellschaftlich realisierbar ist. Dann ist es allerdings eine sehr aussichtsreiche Option für die letzten Meter, denn andere Wege zur Kohlendioxidabscheidung sind deutlich teurer oder ineffizienter. Falls CCS nicht akzeptiert wird, könnte eine alternative Option aber auch sein, bei der energetischen Biomassenutzung nicht erst bis zum CO2 zu gehen, sondern schon Biokohle als Zwischenprodukt abzuzweigen und beispielsweise als Bodenverbesserer einzusetzen. Man könnte so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Wasser- und Nährstoffspeicherfähigkeit der Böden erhöhen und Kohlenstoff zumindest temporär zu binden.
Welche Rahmenbedingungen braucht ein modernes und flexibles Energiesystem?
Das Energiesystem befindet sich in einem grundlegenden Umbau: von wenigen großen Kraftwerken hin zu Abertausenden kleinen Energiebereitstellern. Um diesen zu realisieren, müssen vier Bedingungen erfüllt sein: (1) Es muss eine verlässliche Roadmap für einen schnellen Umbau geben, in der fluktuierende und flexible erneuerbare Energieträger sich in einem ausgewogenen Mix ergänzen. (2) Ziele und Zielbeiträge müssen nicht nur national, sondern auch regional und lokal verbindlich sein, denn sowohl fluktuierende als auch flexible erneuerbare Energien müssen in der Fläche geplant, genehmigt und gebaut werden. (3) Ein langfristig planbarer Rahmen für die notwendigen Investitionen in ausreichender Höhe ist notwendig – hierfür müssen entsprechende Instrumente implementiert werden. (4) Die Erforschung von vielfältigen technischen Kombinationen in dezentralen und zentralen Konzepten ist notwendig, denn es gibt nicht das eine moderne und flexible Energiesystem, sondern viele verschiedene Beiträge und Teilsysteme, die die Randbedingungen vor Ort berücksichtigen und in optimaler Weise zusammenspielen müssen.